J. Dillinger (Hg.): Zauberer – Selbstmörder – Schatzsucher

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Titel
Zauberer – Selbstmörder – Schatzsucher. Magische Kultur und behördliche Kontrolle im frühneuzeitlichen Württemberg


Herausgeber
Dillinger, Johannes
Erschienen
Trier 2004: Kliomedia
Anzahl Seiten
303 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

«Avec ce qui n’était jusqu’à présent que de l’anecdote, j’ai estimé qu’on pouvait faire de l’histoire», schrieb Marc Bloch im Vorwort seines 1924 erschienenen Meisterwerkes «Les rois thaumaturges». Dass diese Worte weniger eine vorweggenommene Entschuldigung waren als eine selbstbewusste Positionierung in der damaligen Forschungslandschaft, belegt der anschliessende Satz. Es gehe ihm nämlich nicht darum, so Bloch, sein Vorhaben zu rechtfertigen: «Un livre doit porter son apologie en lui-même»1. Man tut Johannes Dillinger und seinen beiden Mitautorinnen nicht allzu Unrecht, wenn man die in «Zauberer – Selbstmörder – Schatzsucher» vorgestellten Themen als Geschichte gewordene Anekdoten im Blochschen Sinn auffasst. Der französische Historiker hat ja in seiner vom Ansatz her revolutionären «historischen Anthropologie» (J. Le Goff) gezeigt, was für Erkenntnismöglichkeiten in einem auf den ersten Blick marginalen Forschungsgegenstand stecken können.

In den hier vereinten Beiträgen geht es, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung, um die Verbindung von Magie und Politik – nichts anderes ist auch der Nukleus der «Rois thaumaturges» – bzw. um die Dialektik zwischen «magischer Kultur» und behördlicher Kontrolle. Untersuchungsraum ist das Herzogtum Württemberg in der Frühen Neuzeit, dessen jurisdiktionelle und verwaltungstechnische Spezifitäten Johannes Dillinger in seiner Einleitung ebenso konzise wie zweckdienlich auf den Punkt bringt. Die württembergische Verwaltung war ausgesprochen hierarchisch angelegt, mit einer «berichtspflichtigen und weitgehend weisungsgebundenen» (S. 14) Beamtenschaft, wobei sich der Herzog die Entscheidung in Strafsachen reservierte. Dass damit auch die Bilanz der Hexenjagden im Herzogtum vergleichsweise «mild» ausfiel, entspricht der Faustregel, wonach sich der Zentralisierungsgrad im Justizwesen – und nicht etwa die Konfession! – umgekehrt proportional zur Verfolgungsintensität verhielt. Was das Verhältnis von Magie und Hexerei betrifft, so wurde im Württembergischen, um eine griffige Formel von Dillinger zu zitieren, «Magie kriminalisiert, wenn auch nicht zwingend dämonisiert» (S. 19), was zu weit weniger dramatischen Konsequenzen führte als anderswo.

Mit «Magie in der dörflichen Gesellschaft Württembergs des 17. und 18. Jahrhunderts» befasst sich Angelika Bachmann. Getreu der Ankündigung, dass das Buch als «Einstieg in die historische Magieforschung für Historiker und historisch Interessierte» gedacht sei, liefert sie in ihrem Beitrag eine Gesamtschau, in der das Thema von verschiedenen Seiten her abgeschritten wird. Dabei verwehrt sich die Autorin gegen konzeptuelle Polarisierungen, wie sie z.B. Robert Muchembleds «Akkulturationsthese» zugrunde liegen, die von einem Antagonismus zwischen einer magischen Volkskultur und einer Elitekultur ausgeht. Angelika Bachmann fragt vielmehr nach der Wahrnehmung von Magie und Zauberei seitens der Zaubernden selbst, der Zaubergläubigen, der Ankläger oder der Richter – eine fazettenreiche Problemstellung, welche die Autorin anhand ausgewählter Beispiele mikrohistorisch angeht. Das Urteil darüber, ob es sich jeweilen um Heil- oder Schadenzauber handelte, lag nicht im Gegenstand selbst begründet, sondern in der «Dynamik der dörflichen Gesellschaft», welche darüber entschied, «ob Zauberei zum Delikt wurde oder nicht» (S. 93). Eine Erkenntnis, die sich mit älteren Befunden aus der Hexenforschung deckt und auch für andere Zweige der historischen Kriminalitätsforschung bedeutungsvoll ist.

Karin Schmidt-Kohberg behandelt das Phänomen der Selbsttötung: Suizide wurden in Württemberg an die übergeordneten Stellen gemeldet und gaben zum Anlegen von Akten Anlass. Die zu klärende Frage galt dem Ort, wo das Opfer begraben werden sollte. Wurde es nach damaligen Massstäben als unzurechnungsfähig erkannt, so dass es für die begangene Tat nicht verantwortlich zu machen war, durfte es in einer Ecke des Friedhofs bestattet werden. Im gegenteiligen Fall blieb diese Gnade verwehrt. Die vorliegende Studie hat, so wie die oben vorgestellte, Einstiegscharakter und liest sich als informative Einführung in die historische Selbstmordforschung. Mit dem übergeordneten Thema des Bandes – «magische Kultur» in der Frühen Neuzeit – besteht insofern ein Zusammenhang, als die Dorfbevölkerung die behördlicherseits zugelassene Bestattung von Selbstmördern auf ihrem Friedhof aus Furcht vor Wiedergängern und Wetterschlag mitunter zu verhindern suchte.

Mit allerlei magischem Beiwerk war die Erscheinung verbunden, welcher der Herausgeber Johannes Dillinger seine eigene Studie widmet: die Schatzgräberei. Da im Herzogtum nie ein Gesetz zur Schatzgräberei erlassen wurde, bewegten sich die dort tätigen Schatzgräber in einer juristischen Grauzone. Wenn sie bestraft wurden, so nicht für die Schatzsuche als solche, sondern für die Verwendung magischer Mittel bei der versuchten Ortung verborgener Schätze; damit ist auch gesagt, dass die Obrigkeit diese Mittel nicht grundsätzlich für unwirksam hielt. Bei der Diskussion der Schatzgräberei bedient sich Dillinger eines anthropologischen Modells. Dabei deutet er das im 17. und 18. Jahrhundert aufflammende Interesse an versteckten Schätzen im Kontext eines synchron ablaufenden «Umschwungs in der Erwerbsmentalität», welche «individueller Gewinnorientierung» grössere Bedeutung zumass (S. 278). Damit hätte auch die Wirtschaftsgeschichte ihre «dunkeln » Seiten ...

Leider fehlt diesem aufschlussreichen Band, der zu Recht für sich in Anspruch nimmt, als Einstieg in die vorgestellten Bereiche dienen zu können, eine Schlussbetrachtung, welche die einzelnen Themenstränge verknüpfen würde. So bleibt der Eindruck eines zwar unterschwellig zusammenhängenden, letztlich aber doch segmentierten Forschungsfeldes, was die versammelten Aufsätze jedoch nicht minder lesenswert macht.

1 Marc Bloch: Les rois thaumaturges. Etude sur le caractère surnaturel attribué à la puissance royale particulièrement en France et en Angleterre, neue Auflage (mit einem Vorwort von Jacques Le Goff), Paris 1983, S. 18.
[2] Dazu einführend auch Anita Raith: «Württemberg, Herzogtum», 8. Februar 2001, in: Gudrun Gersmann, Jürgen-Michael Schmidt, Margarete Wittke: Lexikon zur Geschichte der europäischen Hexenverfolgungen (Ein Server für die Frühe Neuzeit), http://www.sfn.unimuenchen. de (Zugriffsdatum: 30. November 2003).

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Johannes Dillinger (Hg.): Zauberer – Selbstmörder – Schatzsucher. Magische Kultur und behördliche Kontrolle im frühneuzeitlichen Württemberg. Trier, Kliomedia, 2003. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 1, 2004, S. 109-110.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 1, 2004, S. 109-110.

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